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Afrika

Auf halber Strecke abgebrochen

Für viele Student*innen in Simbabwe bedeutet Covid-19 eine Katastrophe: Wer keinen Praktikumsplatz findet, kann sein Studium nicht beenden.

Von Audrey Simango

Hamudi Jambo ist verzweifelt: Wenn die 23-jährige nicht bald einen Praktikumsplatz bekommt, kann sie ihr Studium nicht abschließen. Das Finanzunternehmen, in dem die angehende Buchhalterin ein Praktikum absolvieren wollte, hat die Hälfte der Belegschaft ins Home Office geschickt, um Covid-19-Infektionen am Arbeitsplatz zu vermeiden. „Wenn die Ausbilder*innen in der Finanzindustrie in ihren Schlafzimmern von zu Hause aus arbeiten, welche Hoffnung bleibt uns dann, einen Praktikumsplatz zu finden?“, fragt sich Hamudi in Harare, der Hauptstadt Simbabwes.

Die Universitäten und Fachhochschulen des Landes im südlichen Afrika verlangen von ihren Studenten, dass sie für drei Monate bis zu einem Jahr als Praktikant*innen in der Industrie, in Büros oder auch auf Farmen tätig werden – als „job-experience“. Angehende Lehrer*innen müssen zum Beispiel mindestens zwölf Monate an Schulen arbeiten, um praktische Erfahrungen zu sammeln.

Dabei gibt es in Simbabwe zwei Arten von Ausbildungsplätzen: bezahlte – und unbezahlte. Unter Umständen lohnen sich auch letztere: „Wenn man als Student ein Praktikum bei einer Traumorganisation wie der UN in Simbabwe findet, kann sich das auszahlen. Man hat einen Fuß in der Tür zu einem Job nach dem Abschluss“, sagt Hamudi, die die größte Hochschule des Landes besucht, die University of Zimbabwe.

Angeschlagene Wirtschaft

Als Folge der COVID-19-Pandemie wurde auch in Simbabwe die Bewegungsfreiheit der Menschen überall im Land eingeschränkt, wirtschaftliche Aktivitäten wurden zurückgefahren und Stellen in Fabriken und Büros abgebaut. Der geschätzte Produktionsrückgang im Bergbau, der Simbabwe die meisten Deviseneinnahmen einbringt, liegt bei 60 Prozent. Die mehrfachen Lockdowns der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens im Vorjahr stellen daher Student*innen, die auf einen Praktikumsplatz in der bereits angeschlagenen einheimischen Wirtschaft hoffen, vor große Probleme.

„Ich bin ein Waisenkind und studiere mit einem Stipendium. Wenn ich keinen Praktikumsplatz bekomme und meinen Abschluss jetzt nicht mache, dann sind meine Hoffnungen, ihn jemals zu schaffen, für immer dahin“, sagt Hamudi. „Wer wird weiterhin Studiengebühren für einen Studenten bezahlen, der keinen Abschluss macht?“

In Simbabwe schreiben sich jedes Jahr Tausende für ein Studium ein. Allein die University of Zimbabwe hat im Dezember 2020 annähernd 5.000 Studenten aufgenommen. Doch Simbabwes
Wirtschaft blutet weiter aus. Im Mai lag die Inflation bei über 100 Prozent, schätzt Steve Hanke, Ökonom am Cato Institute Troubled Currencies Project. Ein akuter Devisenmangel und fehlende Investitionen in Produktionsstätten und ihre Ausstattung führen dazu, dass rund 60 Prozent der gesamten Arbeitslosen aus der jungen Altersgruppe der 18-bis 34-Jährigen kommen.

Die Zeit läuft ab

In den letzten Jahren wurde mehrfach über Universitätsabsolventen in Simbabwe berichtet, die auf der Straße Zigaretten und Süßigkeiten verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. „Deshalb ist es so wichtig, dass ein Universitätsstudent ein Praktikum während seines Studiums bekommt“, sagt der Sozialwissenschaftler Obrien Nhachi aus Harare. „Nur so hat man Chancen, Kontakte zu knüpfen, die einem nach dem Abschluss einen festen Job finden lassen.“

War die Lage auf Simbabwes Arbeitsmarkt schon vor der Pandemie schlecht, so kann sie jetzt als katastrophal bezeichnet werden. „Es ist so ermüdend“, sagt Shantelle Mutswa, 20, eine angehende Mechanikerin an einem College in Mutare, der drittgrößten Stadt Simbabwes. Allein im April hat sie ihren Lebenslauf persönlich bei zwölf verschiedenen Firmen vorbeigebracht. „Keine von ihnen hat mich jemals auch nur zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Zeit läuft uns davon. Mein Professor sagt, dass ich ohne Praktikum 2022 einen Teil meines Maschinenbaustudiums wiederholen muss.“

Glück hatte dagegen Nyasha Gore. Der 23-jährige studiert in Bulawayo, der zweitgrößten Stadt Simbabwes, im dritten Jahr Software Engineering. „Ich habe ein Praktikum bei einer Firma gefunden, die Webseiten erstellt und bereit ist, mich über Programme wie Slack, Zoom und GitHub von zu Hause aus zu betreuen. Beim Softwaredesign ist kein kein physischer Kontakt notwendig, Studenten müssen nicht vor Ort im Büro sein.“

Schulden durch Studiengebühren

Anders wiederum sieht es bei Joanita Sembe, 22, aus, die am Rusitu College in Theologie studiert. „Ich würde gerne Pastorin werden, muss dafür aber ein Praktikum als Pastorin machen. Online geht das nicht. Meine Frist, einen Praktikumsplatz zu finden, war der 20. Mai. Das hat nicht geklappt und darum im nächsten Jahr muss vier Monate meines Studiums wiederholen.“

Ein Jahr zu wiederholen, das ist für Studenten in Simbabwe eine echte Herausforderung. „Erstens wartet der kleine Arbeitsmarkt des Landes nicht auf die Absolventen“, sagt der Soziologe Tichaona Jongwe. „Zweitens müssen die Studenten schon anfangen ihre Schulden zurückzuzahlen, bevor sie ihren Abschluss gemacht haben.“ Ohnehin brechen Tausende von Universitätsstudenten ihr Studium ab, weil sie die Studiengebühren nicht zahlen können. Jetzt kommen vermehrt jene hinzu, „die auf halber Strecke abbrechen, weil sie keine Praktikumsplätze finden und gezwungen wären, die Hochschule ein weiteres Jahr zu besuchen“.

Der Soziologe Tichaona Jongwe gibt Simbabwes Universitäten die Schuld. „In den 1990er Jahren haben die Hochschulen aktiv nach Praktikumsplätzen für ihre Studenten gesucht. Die Professoren hatten Adressbücher voller Telefonnummern von Arbeitgebern. Das war sinnvolle Netzwerke, um Wirtschaft und Universitäten miteinander zu verbinden. Heute geht es den Hochschulen in Simbabwe nur noch darum, die Studiengebühren der Studenten einzusammeln.“

Audrey Simango ist eine freiberufliche Journalistin in Harare, Simbabwe. Ihre Arbeiten erscheinen u.a. in Newsweek, The Africa Report und TheSouthAfrican.com. Der vorliegende Text erscheint auf dem taz Panterblog als Erstveröffentlichung im englischen Original und in einer leicht abgeänderten übersetzten Version (OS).