Von Hiba al-Majid
An diesem Tag stand ich früh auf und zog mich so an wie immer, wenn ich als Journalistin unterwegs bin. Noch eine Maske, gegen COVID-19, über Mund und Nase gezogen und meine dunkle Sonnenbrille aufgesetzt, war kaum noch etwas von meinem Gesicht zu sehen.
Gut, dachte ich. An diesem Tag würde ich über die Anti-Regierungsdemonstration in Karbala berichten und niemand sollte mich erkennen können.
Karbala, im Norden des Iraks, ist eine konservative Stadt. Das macht die Arbeit als Journalistin nicht leichter. Die meisten hier sind überzeugt davon, dass Journalismus sowie fast jeder Beruf lediglich für Männer gemacht sei. So weigern sich auch Regierungsvertreter und Sicherheitsbeamte Journalistinnen, denselben Zugang zu Veranstaltungen zu gewähren, wie ihren männlichen Kollegen.
Trotz aller Schwierigkeiten schaffte ich es, über die Demonstrationen zu berichten. Die Proteste sind Teil einer Serie von Demonstrationen, die im Oktober 2019 im Süden des Landes begonnen. Gefordert werden mitunter der Rücktritt korrupter Abgeordneter sowie eine Änderung des Wahlrechts.
Je mehr ich die Proteste und ihre Praktiken verstand, desto vorsichtiger wurde ich. So verließ ich in über sechs Wochen kein Mal das Haus ohne Maske und Sonnenbrille. In der ersten Woche der Proteste kooperierten die Protestierenden sowie die Sicherheitsbeamten noch mit der Presse. Die Zusammenarbeit war sehr angenehm und professionell.
Doch an einem Tag in dieser Woche geriet die Situation etwas außer Kontrolle. Sicherheitsbeamte und Demonstranten gerieten aneinander. Ich war die einzige Journalistin, die nah am Geschehen dran war, doch ich achtete darauf, möglichst neutral zu bleiben.
Ich wollte jede Perspektive beleuchten. Also gab ich mir Mühe, weder die Demonstranten noch die Sicherheitsbeamten zu verärgern. Ich blieb bis spät in die Nacht am Ahrar Square (Freiheits-Platz), wie ihn die Demonstranten getauft hatten, um nichts zu verpassen.
Auf dem Platz stand ein Pressezelt. Die meisten dort waren Männer. Lediglich vier Journalistinnen berichteten ebenfalls regelmäßig über die Proteste. Eigentlich dachte ich, die streng-traditionelle Stadt würde mir Belästigungen ersparen. Aber im Trubel des Geschehens schien es akzeptabel geworden zu sein, Journalistinnen zu beleidigen.
Oft blieb ich bis Mitternacht auf dem Platz, während ich Demonstranten vor dem Pressezelt rufen hörte: „Was macht eine Frau so spät noch in dem Zelt?“ Meine männlichen Kollegen erwiderten: „Sie ist unsere Kollegin.“ Doch die Antwort reichte nicht. Die Demonstranten bestanden weiter darauf, ich solle nach Hause gehen. Eine Frau hätte hier so spät nichts mehr zu suchen.
An einem der folgenden Tage weigerte sich ein Interviewpartner, dass ich das Mikrofon für ihn hielt. Er wolle nicht, dass eine Frau das Mikrofon hielt.
Irgendwann war einer meiner männlichen Kollegen der Meinung, ich solle für meine eigene Sicherheit lieber gehen. Die Männer hingegen konnten ohne Angst über was, wie und wo sie wollten, berichten. Sie hatten Bodyguards und wurden dazu allein durch ihre Männlichkeit geschützt.
Nachdem ich in dieser Nacht das Pressezelt verließ, sah ich mich gezwungen, erstmal aus der Ferne weiter zu berichten. Ein Mann fuhr mit seinem Motorrad gefährlich nah an mich heran und schrie mich an. Ich hatte Angst, doch durfte sie mich nicht daran hindern, weiter zu berichten. Der Beruf bringt viele Herausforderungen mit sich, da muss man die Ruhe bewahren können.
Zwei der vier Journalistinnen konnten das nicht. Sie hörten auf. Eine dritte Frau blieb Zuhause, schickte jedoch täglich ihren Mann für ein paar Stunden zum Ahrar Platz, um Fotos und Videos zu machen und die Aufnahmen anschließend für ihre Berichte zu verwenden. Der Umgang mit uns auf den Demonstrationen ist nur ein Beispiel für die tägliche Diskriminierunh.
Der General der Operation meinte: „Die Männer können schwere Situationen aushalten, du halt nicht.“
Hält die Lokalregierung beispielsweise nach 5 Uhr nachmittags eine Pressekonferenz, werden keine Frauen eingeladen. Sie laden den männlichen Kameramann ein, doch nicht die Reporterin dazu. Die Männer hingegen dürfen zu jeder Zeit, an jedem Ort, jegliche Pressekonferenz besuchen.
Bei einer Militäroperation in Karbala wurde ich nicht an Board eines Helikopters gelassen. Alle männlichen Reporter schon. Der General der Operation meinte: „Die Männer können schwere Situationen aushalten, du halt nicht.“ Mein Kameramann könne ja mitkommen. Erneut wurde mir deutlich, für wie schwach wir gehalten werden, als wäre es beschämend, eine Frau zu sein.
Dasselbe geschah bei der Arbaeen Pilgerreise in Karbala, bei der Millionen Schiiten in die Stadt ziehen. Mein Kameramann und ich berichteten von vor Ort, als ich einen der Pilger rufen hörte: „Warum steckt da eine Frau ihre Nase in unsere Angelegenheiten. Du solltest Zuhause sein!“ Er war fest davon überzeugt, dass mein Platz in der Küche bei meiner Familie sei und eine Frau auf keinen Fall arbeiten sollte.
An einem der folgenden Tage weigerte sich ein Interviewpartner, dass ich das Mikrofon für ihn hielt. Er wolle nicht, dass eine Frau das Mikrofon hielt. „Holt einen Mann dafür!“, forderte er.
Da fing ich an, über die Widersprüchlichkeit in solchen Forderungen nachzudenken. Warum lehnen die Männer mich so ab? Warum beharrt er darauf, dass ein Mann das Interview führt? Am Ende des Tages trage ich doch sogar ein Kopftuch und bin nicht irgendwer.
Diese Begegnungen erschweren meine Arbeit. Doch noch nie haben sie mich davon abgehalten. Tatsächlich spornen sie mich an, noch erfolgreicher in diesem Beruf zu werden und an meiner Berufung festzuhalten.